Den Agrarstrukturwandel gerecht gestalten – Gesunde Ernährung, Tierwohl, Landschafts- und Klimaschutz

Kapitel 4.3

Landwirtschaft geht uns alle an, auch in einem Industrieland wie Nordrhein-Westfalen. Landwirtinnen und Landwirte versorgen uns mit Lebensmitteln, pflegen Kulturräume, stützen den ländlichen Raum und sind wichtige Akteure im effektiven Schutz von Natur, Artenvielfalt und Klima. Landwirtschaftliche Betriebe sind oft seit Generationen in Familienhand. Um ihren Fortbestand zu sichern, müssen wir sie auch im Strukturwandel der Landwirtschaft stärken. Wir wollen neue Möglichkeiten und Perspektiven für die Zukunft schaffen und fördern. Deshalb werden wir, wenn nötig, das Baurecht ändern, um Agri-PV im großen Stil zu ermöglichen. Niedrige Erzeugerpreise, hohe Investitionskosten, steigende Boden- und Pachtpreise und eine benachteiligte Marktposition gegenüber großen Abnehmern setzen die Landwirte ebenso unter Druck wie der Klimawandel und das Artensterben.

Gleichzeitig wächst das Interesse vieler Menschen an der Herkunft und Qualität ihrer Lebensmittel. Verbraucherinnen und Verbraucher stellen hohe Anforderungen an Ernährung, Tierwohl und Produktionsbedingungen.

Wir wollen Landwirtinnen und Landwirten ermöglichen, wieder von guter Arbeit gut zu leben. Wertschätzung für Lebensmittel beginnt beim Respekt für diejenigen, die sie produzieren. Das gilt für Familienbetriebe, Beschäftigte und Saisonarbeitskräfte.

Regionale Wertschöpfung stärken, faire Marktbedingungen für landwirtschaftliche Betriebe fördern, Bodenmarkt regulieren

Wir wollen dem Agrarstrukturwandel und den Konzentrationsprozessen auf allen Stufen der Wertschöpfung mit stärkerer Regionalisierung begegnen. Wir wollen kürzere, regionale Wertschöpfungsketten neu aufbauen und vernetzen. Wir setzen uns für dezentrale, vielfältige Verarbeitungs- und Vertriebsstrukturen in den Regionen und regionale Wertschöpfungszentren ein.  Das stärkt die Marktpositionen der Landwirtinnen und Landwirte gegenüber Großabnehmern. Aus demselben Grund setzen wir uns für die effektive Umsetzung der europäischen Richtlinie zu unlauteren Handlungspraktiken und deren Ergänzung um das Verbot von Dumpingpreisen ein. Zeitgleich müssen wir Landwirte und Landwirtinnen entlasten, insbesondere durch eine Bodenreform. Landwirtschaftsflächen wollen wir zudem mit einem Schutzstatus versehen, der sich an ihrer Ertragsfähigkeit und ökologischen Wertigkeit orientiert.

Gesundes Essen als soziale Frage: Ernährungspolitik kommunal und zivilgesellschaftlich verankern

Um das zu erreichen, müssen wir unsere Ernährung ändern. Wir wollen in der Breite eine Ernährungsweise unterstützen, die unserer Gesundheit und dem Klima dient, und so landwirtschaftlichen Betrieben neue Absatzmärkte erschließt. Wir wollen eine stärkere regionale und kommunale Verankerung der Ernährungspolitik.

Gesunde Ernährung ist dabei auch eine soziale Frage. Noch immer spielt unser Einkommen eine zu große Rolle in unserer Gesundheit – auch weil gesunde Lebensmittel teuer sind. Es muss jedem Menschen möglich sein, sich gesund zu ernähren. Indem wir dafür sorgen, bekämpfen wir nicht nur unmittelbare Gesundheitsfolgen, sondern auch die wachsende soziale Ungleichheit.

In der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung werden wir die Nachhaltigkeitsstandards der DGE perspektivisch verbindlich machen, um eine ausgewogene und ökologisch nachhaltige Ernährung zu befördern. Über die Beschaffung für die Gemeinschaftsverpflegung werden wir einen stetig wachsenden Markt für die regionale Landwirtschaft und für Bio-Produkte schaffen, der allen Menschen Zugang zu gesunder Ernährung ermöglicht, und den ökologischen Wandel der Landwirtschaft bestärkt.

Natur und Klima schützen, Engagement entlohnen

Unser Ziel ist es, Landwirtschaft und Umweltschutz nicht länger als Gegensätze, sondern als komplementär zu sehen. Wir unterstützen eine multifunktionale Landwirtschaft, der wir bei öffentlichen Leistungen zusätzliche betriebliche Perspektiven bieten, zum Beispiel in den Bereichen Naturschutz und Landschaftspflege.

Diese öffentlichen Leistungen kann man in konkretem Handeln messen und bewerten. Daher setzen wir uns für die Implementierung von Bewertungssystemen für Nachhaltigkeit ein, die alle Stufen der Wertschöpfungskette beinhalten. Dadurch können „wahre Preise“ der Produktion sichtbar gemacht werden. Ziel muss eine Gemeinwohlprämie sein, die positive, bisher am Markt unvergütete Leistungen entlohnt, wie Artenschutzmaßnahmen, gute Arbeitsbedingungen, schonende Bodenbearbeitung etc. So können auch die gesellschaftlichen Kosten von Nahrungsmittelproduktion preislich abgebildet werden (Nachhaltigkeitsbilanzierung). Dadurch werden Marktvorteile derjenigen ausgeschlossen, die auf Kosten von Umwelt oder Sozialstandards einen Wettbewerbsvorteil erzielen – das Fleisch aus klimaschädlicher Massentierhaltung darf nicht länger einen preislichen Vorteil gegenüber fair und umweltverträglich produziertem Fleisch haben. Ein solcher Paradigmenwechsel dient der Nachhaltigkeit der Produktion und dem respektvollen Umgang mit Landwirtinnen und Landwirten.

Besonders dringend ist der Handlungsbedarf in der intensiven Tierhaltung. Wir wollen Tierhalterinnen und Tierhaltern helfen, Haltungssysteme tierwohlgerechter umzugestalten und so mit weniger Tieren ein angemessenes Auskommen zu erzielen. Wir werden uns dafür einsetzen, ein verpflichtendes staatliches Tierwohllabel für alle Tierarten auf Bundesebene einzuführen. Wir unterstützen eine Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung nach den Leitlinien des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung. Auch eine an die eingesparten Klimagase gekoppelte Prämie für Betriebe, die ihre Bestände reduzieren, ist in diesem Kontext denkbar.