Vielfalt und Zusammenhalt, Flucht und Integration

Kapitel 4.7

Religionspolitik für eine offene Gesellschaft

Die religiöse Vielfalt der Menschen in Nordrhein-Westfalen ist eine große Stärke unseres Landes. Wir stehen dafür ein, dass alle Menschen in Nordrhein-Westfalen ihre im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit frei ausüben können.

In Kirchengemeinden und Religionsgemeinschaften findet wichtiges Engagement statt, das gesellschaftlichen Zusammenhalt schafft – und das zumeist ehrenamtlich. Die Kinder- und Jugendarbeit bietet nicht nur Freizeitgestaltung, sondern auch lebendige demokratische Bildung. Im Bereich der Integration leisten Kirchen und Religionsgemeinschaften unersetzbare Leistungen. Und die kulturelle Landschaft wird durch die Chöre, Kirchenmusik und vieles weitere bereichert. Nicht zuletzt in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie sehr sich Haupt- und Ehrenamtliche in den Kirchengemeinden und Religionsgemeinschaften um ältere Menschen kümmern. Wir erkennen in Kirchen und Religionsgemeinschaften wichtige Partner für eine gemeinsame Gestaltung einer gerechten Welt.

Den guten Austausch mit den Kirchen, den jüdischen Gemeinden und den islamischen Verbänden, sowie weiteren wichtigen Stimmen und Persönlichkeiten der Musliminnen und Muslime in Nordrhein-Westfalen wollen wir fortsetzen und intensivieren.

Es ist unsere Verpflichtung, jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen sowohl zu schützen als auch zu stärken. Dafür werden wir unter anderem die Position der Antisemitismusbeauftragten in Nordrhein- Westfalen weiter stärken. Neben der Ausweitung der Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen von religiösen Einrichtungen, insbesondere Synagogen und Moscheen, und weiteren sensiblen Einrichtungen müssen wir die vermehrten antisemitischen Vorfälle sichtbarer machen und stärker verfolgen. Daher werden wir die Meldestelle Antisemitismus in den regulären Betrieb überführen und um weitere Meldestellen für andere menschenfeindliche Vorfälle ergänzen. Hierbei werden wir auf einen guten Austausch zwischen bestehenden Strukturen und neuen Meldestellen achten, um Synergien zu gewinnen und Doppelstrukturen zu vermeiden.

Der islamische Religionsunterricht ist ein wichtiger Fortschritt im Zusammenleben in religiöser Vielfalt im Land. Bei der Organisation werden wir sicherstellen, dass ausländische Regierungen keinen Einfluss auf die Gestaltung des Unterrichts erhalten, aber gleichzeitig eine Einbindung der in Deutschland organisierten Verbände sichergestellt ist.

Die Kinderschutzkommission im Landtag gibt wertvolle Hinweise und Empfehlungen auch zum Schutz der Opfer bei den zahlreichen sexualisierten Gewalttaten. Daher werden wir die Arbeit der Kinderschutzkommission fortführen.

Wir schätzen die sozialen Hilfe- und Unterstützungsleistungen von freien Wohlfahrtsträgern, die mit öffentlichen und privaten Trägern Hilfebedarfe decken. Bei der Übernahme von Hilfeleistungen soll es nicht automatisch oder vorrangig zur Auswahl des preisgünstigsten Anbieters kommen. Gemeinsam mit Gewerkschaften werden wir daran arbeiten, dass Beschäftigte in der gesamten Sozialwirtschaft, unabhängig von der Trägerschaft, gute Arbeitsbedingungen und Tariflöhne erhalten. Tariflohn zu zahlen, darf nicht zu Wettbewerbsnachteilen unter den Trägern führen. Soziale Dienstleistungen werden größtenteils durch öffentliche Mittel finanziert. Mögliche Gewinne privatwirtschaftlicher Träger sollen für Verbesserungen der Leistungen eingesetzt werden.

Wir werden uns an dem im Koalitionsvertrag im Bund zwischen SPD, Grünen und FDP vereinbarten Prozess beteiligen, in dem eine einvernehmliche Lösung zwischen Bund, Ländern und Kirchen zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen erarbeitet werden soll.

Eine solidarische und humanitäre Flüchtlingspolitik

Wir stehen für eine humanitäre und solidarische Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wir unterstützen die Städte und Kommunen, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben. Wir werden ein Landesaufnahmeprogramm für Nordrhein- Westfalen einrichten, welches das Ziel verfolgt, besonders schutzbedürftige Geflüchtete und Binnenvertriebene aus humanitären Gründen in Nordrhein-Westfalen aufzunehmen. Wir werden die Unterbringung von Geflüchteten in Nordrhein-Westfalen neu organisieren. Die zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) werden wir abschaffen und durch ein Unterbringungskonzept ersetzen, das eine schnelle dezentrale Unterbringung der Hilfesuchenden sicherstellt.

Wir organisieren gelingende Integration

Mit dem Landesintegrationsplan für Geflüchtete haben wir 2015 begonnen; nun wollen wir den Fokus auf eine schnelle Arbeitsmarktintegration und schnelle Einschulung von Kindern und Jugendlichen legen. Dazu gehören zügige und unbürokratische Anerkennung der Berufsqualifikationen, Nachqualifizierungen, Weiterbildungen und eine gezielte fachspezifische Sprachförderung. Frauen sollen durch bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und gezielte Ansprache für den Arbeitsmarkt gewonnen werden und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Integration funktioniert am besten mit der Familie. Wir begrüßen daher, dass sich der Bund für die Angleichung der Regelungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten an die Regelung für Flüchtlinge einsetzt, und werden dies auch für den Geschwisternachzug bei unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen unterstützen. Gut integrierte Geflüchtete, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, sollen schneller einen rechtssicheren Aufenthaltsstatus erhalten. Wir werden zusammen mit der Bundesebene ihre Einbürgerungsmöglichkeiten erleichtern und Kettenduldungen vermeiden.

Für uns ist klar, dass die Integrationsräte auf kommunaler Ebene ein wichtiger Bestandteil der politischen Beteiligungsstruktur für Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Nordrhein-Westfalen sind. Daher werden wir ausschließlich den Integrationsrat als Beteiligungsgremium etablieren und dessen Entscheidungskompetenzen und Ausstattung sowie Entsendungsrechte grundlegend reformieren. Dieses ist für uns bindend, solange es kein kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige gibt und somit die Chance auf politische Teilhabe nicht anderweitig als durch Integrationsräte gewährleistet ist.

Fachkräftemangel

Nicht nur die Alterung unserer Gesellschaft macht die Einwanderung von Fachkräften für eine lebendige Wirtschaft erforderlich; Zuwanderung ist für uns eine Bereicherung. Daher begrüßen wir, dass auf Bundesebene die Einreise- und Aufenthaltsmodalitäten vereinfacht werden. Unser Beitrag für das Ankommen in Nordrhein-Westfalen wird sein, dass wir Sprach-, Integrations- und Orientierungskurse für alle Zugewanderten öffnen und ausweiten.

Doppelte Staatsbürgerschaft

Die doppelte Staatsbürgerschaft sowie vereinfachte Einbürgerungsvoraussetzungen gehören zu den wichtigsten Maßnahmen für gleichberechtigte Teilhabe. Dafür werden wir eine Einbürgerungs-offensive starten und alle Möglichkeiten in Nordrhein-Westfalen ausschöpfen, um die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts an die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen.

Diskriminierungsfreies Land

Unser Ziel ist eine diskriminierungsfreie und chancengerechte Gesellschaft.

Neben der Etablierung eines Antidiskriminierungsgesetzes, werden wir auf Landesebene eine Antidiskriminierungsstelle einrichten. Diese soll netzwerkartig beratend, forschend und vor allem öffentlichkeitswirksam tätig sein. Diskriminierende und rassistische Handlungen finden auf der kommunalen Ebene statt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass unsere Kommunen die nötige beratende und finanzielle Ausstattung für die Gestaltung von Antidiskriminierungskonzepten erhalten.

Interkulturelle Öffnung

Wir stehen für eine offene und plurale Gesellschaft. Diese Haltung werden wir im öffentlichen Dienst leben und die interkulturelle Öffnung der Verwaltung vorantreiben, indem wir vor allem diskriminierungsfreie Bewerbungs- und Zugangsverfahren sowie kultursensible Weiterbildungen etablieren werden.

Migrantenselbstorganisationen

Die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen ist für uns selbstverständlich. Für Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist dies noch immer nicht selbstverständlich. Daher werden wir die Unterstützung der Migrantenselbstorganisationen (MSO) fortführen und sie stärker in integrationspolitische Diskurse und Prozesse einbinden.